Dojo/ChronikKarate

Wie alles begann – 50 Jahre Karate in Goddelau

Die Ursprünge des Karate reichen bis ca. 500 n. Chr. zurück. Chinesische Mönche, die keine Waffen tragen durften, entwickelten aus gymnastischen Übungen im Laufe der Zeit eine spezielle Kampfkunst zur Selbstverteidigung. Diese Kampfkunst galt auch als Weg der Selbstfindung und Selbsterfahrung. Als Sport ist Karate relativ jung: Erst im vergangenen Jahrhundert entstand in Japan aus der traditionellen Kampfkunst ein Kampfsport mit eigenem Regelwerk. Wobei Karate nicht gleich Karate ist. Im Laufe der Zeit entwickelten sich viele Stilrichtungen. Der Begründer des Shotokan Karate, die weltweit am weitesten verbreitete Stilrichtung und die auch im TSV Goddelau ausgeübt wird, war der Lehrer Gichin Funakoshi aus Okinawa. Er errichtete 1938 sein erstes Dojo in Tokyo. Als Dojo bezeichnet man einen Trainingsraum japanischer Kampfkünste. Außerhalb Japans wird neben der eigentlichen Übungshalle bzw. dem Übungsraum mit „Dojo“ oft auch der Verein oder Club bezeichnet. 
„Shoto" war Funakoshis Künstlername und bedeutet „Pinienrauschen" – seine erste eigene Trainingshalle wurde aus diesem Grund Shotokan („Gebäude des Shoto“) genannt. Diese Bezeichnung wurde später für seinen Karate-Stil übernommen. Sie erhielt 1945 ein offizielles Regelsystem. 

1957 wurde das erste Karate-Dojo in Deutschland von Jürgen Seydel in Bad Homburg eröffnet. Auch Elvis Presley trainierte während seiner Stationierung in Hessen bei ihm. 

Gerade einmal 18 Jahre später, am 1. Juni 1974, trafen sich weit über zwanzig interessierte junge Männer, um die Kampfkunst Karate mit den exotischen Bewegungsabläufen in Goddelau zu üben. Ins Leben gerufen wurde die Gruppe von Gotthard Thierolf. Anfangs trainierte man im Freien, in einfacher Sportkleidung aber enthusiastisch unter eigener Regie. Mit der Zeit wuchs der Ehrgeiz und man wollte sich mit Anderen messen. Dies setzte jedoch eine Verbandsmitgliedschaft voraus. Man fragte an, ob man in den TSV Goddelau als Sportart aufgenommen werden könnte. Unter großem Vorbehalt des damaligen Vorstands wurde die Sparte offiziell im Januar 1975 in den TSV eingeführt. Kaum jemand aus dem Vorstand glaubte damals an eine dauerhafte Einrichtung. 

Mit der Aufnahme als Abteilung im TSV Goddelau erfolgte ebenfalls die Aufnahme im Landessportbund Hessen. Dadurch hatte man die Möglichkeit, Mitglied im Deutschen Judo Bund zu werden. Karate lief als Sektion im DJB. Dies ermöglichte es den ehrgeizigen Mitgliedern der Abteilung, sich bereits im September 1975 der ersten Prüfung zu unterziehen. Im Januar 1976 ging die Abteilung erstmals an die Öffentlichkeit. Auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zeigten die Goddelauer Karatekas, so die Bezeichnung für Karate-Übende oder -Kämpfende, ihr Können. Die Vorführung begeisterte das Publikum. 

Im Laufe des Jahres 1976 gab es bereits die ersten sportlichen Erfolge unserer Pioniere in der Landesliga als Kampfmannschaft. 
Viele der Gründungsmitglieder hatten vorher schon in anderen Vereinen Karate trainiert und die Kämpfer konnten sich in den Folgejahren noch weiter steigern.
1977 gab es den ersten großen Wechsel des Karate Dachverbandes. So wechselte man vom Deutschen Judo Bund in die Deutsche Karate Union. Gleichzeitig mit dem Wechsel wurden Einzelmeisterschaften im Karate eingeführt. Auch bei diesen waren die Goddelauer Karatekas im Laufe der kommenden Jahre äußerst erfolgreich. 
In der Saison 1981/82 konnten sich gleich drei Abteilungsmitglieder mit mehreren ersten und zweiten Plätzen bei hessischen Jugend- bzw. Junioren-Meisterschaften im Leichtkontakt und traditionellem Kumite schmücken. Über die Landesgrenzen hinaus nahm man in dem Jahr auch an einem Sportfest in der Goddelauer Partnerstadt Brienne-le-Château in Frankreich teil, um sich mit den Gastgebern zu vergleichen. Mit jeweils einem dritten Platz bei den hessischen Junioren-Einzel-Meisterschaften qualifizierten sich zwei Karatekas für die Deutsche Meisterschaft. Ein junger Kämpfer war dort besonders erfolgreich, musste sich erst im Finalkampf geschlagen geben und wurde deutscher Jugend-Vizemeister. Diesen Erfolg konnte er einige Zeit später bei den Junioren wiederholen.

Von ursprünglich 30 Mitgliedern wuchs die Abteilung im Laufe der Jahre kontinuierlich an. In den 80er/90er-Jahren, als Karate-Filme wie z. B. Karate Kid einen großen Hype auslösten, profitierte auch unsere Karate-Abteilung davon und verzeichnete einen großen Mitgliederzuwachs. In Spitzenzeiten hatten wir knapp 100 Abteilungsmitglieder, sowohl männliche als auch weibliche. Mit der Jahrtausendwende ließ das Interesse an Karate jedoch spürbar nach. Andere Sportarten wie Inlineskaten, Nordic Walking und insbesondere Computer- oder Konsolenspiele gewannen mehr Zuspruch. Seit einigen Jahren liegt die Mitgliederzahl stabil bei ca. 65 Personen, von denen etwa die Hälfte regelmäßig trainiert.

Wolfgang Brzezicki, eines der Gründungsmitglieder der ersten Stunde, steht auch heute noch, nach 50 (!) Jahren, mehrmals pro Woche aktiv in der Halle. Auch er fing einmal klein an, absolvierte 1975 seine erste Prüfung. Schon drei Jahre später stand er selbst als Trainer vor der Gruppe. Seinen 1. Dan (Schwarzgurt, Meistergrad) erreichte er 1985. In diesem Atemzug machte er auch noch seine erste Trainer- und Prüferlizenz. Seine derzeitige und damit höchste Graduierung war die Prüfung zum 5. Dan im Jahre 2016. Er ist damit der höchstgraduierte Karateka in Goddelau.

Bild: von links Prüfer Andre Wehnert, Wolfgang Brzezicki Prüfung auf Mallorca 06.05.2016 zum 5. Dan und Prüfer Lothar Ratschke.

Seit Beginn ist er außerdem im Abteilungsvorstand aktiv, die meiste Zeit davon als erster Vorsitzender. Von 1990 bis 1997 leitete er zusätzlich auch noch die Geschicke des gesamten TSV 1899 Goddelau als Vereinsvize, von 1997 bis 2008 sogar als erster Vorsitzender. Im Laufe seiner vielen Jahre als Trainer und Prüfer im hessischen Karateverband hat er bis heute annähernd 400 Kyu-Prüfungen (Schülergrade bis zum Braungurt) abgenommen. Als Lehrer und Mentor (Sensei) begleitete er 12 Karatekas erfolgreich auf ihrem Weg zum schwarzen Gürtel. Wer denkt, dass Karate nur für junge, athletische Menschen geeignet wäre, der irrt gewaltig. Anders als bei vielen anderen Sportarten ist es im Karate möglich, bis ins hohe Alter zu trainieren und Wettkämpfe zu bestreiten. Doch was bedeutet „Karate“ eigentlich? Wörtlich übersetzt bedeutet Karate-Do, so die „bessere“ Bezeichnung, so viel wie „Der Weg der leeren Hand“. Im übertragenen Sinne heißt das: Der Karateka ist waffenlos, seine Hand ist leer. Auch heute noch spiegelt sich im Karate-Do die fernöstliche Philosophie wider. Den Begriff „Do“ finden wir im gesamten Spektrum der Kampfkünste wie z. B. auch im Aikido, Judo, Kobudo, Taekwondo, Kyudo usw. Do bedeutet übersetzt: Weg, Pfad, Grundsatz, Lehre, Philosophie, Richtung, Prinzip, Methode usw. Dojo bedeutet somit auch die Stätte des Do, der Ort des Weges.

Durch das Training soll der bzw. die Karateka u. a. befähigt werden, sich im Notfall selbst zu verteidigen. Es werden unterschiedliche Fußtritte, Faust-, Handkanten-, Finger-, Unterarm-, und Ellenbogentechniken trainiert. Diese Techniken erfordern ein gewisses Maß an Koordination und Beweglichkeit, die aber erlernbar sind. Muskelkraft oder besondere körperliche Fähigkeiten sind keine Voraussetzung um sich im Karate-Do zu üben. Die Kampfkunst wird nicht vornehmlich trainiert, um sich verteidigen oder kämpfen zu können. Sie wird vor allem als Weg gesehen, Körper und Geist in Einklang zu bringen und den Charakter zu bilden. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler sowie der Schüler untereinander sollte immer von Respekt und Achtung voreinander gekennzeichnet sein, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter oder sozialem Status.

Indem man sich beim Üben an seine Leistungsgrenzen führen lässt werden nicht nur die Karatetechniken präziser, schneller und kraftvoller. Es kann dadurch auch gelingen, Eigenschaften wie Durchhaltevermögen, Ausdauer und Willenskraft zu entwickeln bzw. zu verbessern. Die zu übenden Techniken und Bewegungsabläufe erfordern auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration. In der Summe sind dies alles soziale Kompetenzen, die auch im Leben außerhalb des Dojos eine wichtige Rolle spielen.

Durch seine Vielseitigkeit, u. a. lernt man im Training auch japanische Redewendungen und Fachausdrücke, fördert Karate-Do die Gesundheit und das Wohlbefinden und erweitert im Idealfall das Potenzial, das in jedem einzelnen Menschen schlummert. Bis zu seinem 52. Lebensjahr hat Wolfgang erfolgreich an Turnieren teilgenommen. Er begleitete außerdem regelmäßig viele Athletinnen und Athleten aus der Abteilung zu Kata (Form)- und Kumite (Kampf)-Wettkämpfen auf Landes- und Bundesebene.

Von Beginn an bildete sich Wolfgang aus Büchern und bei Schulungen weiter. Regelmäßig besucht er landes- oder bundesweit Lehrgänge, mehrfach sogar auf Mallorca. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse vermittelt er im eigenen Training weiter. Mit den Jahren bildeten sich enge Freundschaften zu anderen Vereinen und Meistern, insbesondere mit Lothar Ratschke. Der gebürtige Flörsheimer verlegte bereits kurz nach der Wende seinen Lebensmittelpunkt nach Erfurt.

Lothar Josef Ratschke ist einer der höchstgraduierten und –ausgezeichneten Karatekas Deutschlands, der jedoch schon immer über den berühmten Tellerrand schaut. Er ist ebenfalls Dan-Träger in verschiedenen anderen Kampfkünsten, wie z. B. Kyushu-Jitsu, Kobudo, Laido und Ju-Jutsu und verfügt über ein äußerst umfangreiches Fachwissen. Im Übrigen ist er auch Ansprechpartner für Rollstuhl-Karate (ja, richtig gelesen!) im Thüringer Behinderten und REHA Sport Verband und Buchautor (Karate ist Kampf). Näheres unter Lothar Josef Ratschke. Als Ehrenmitglied unserer Abteilung besucht uns Lothar seit über 25 Jahren und hält Lehrgänge in Goddelau ab.

Seit Jahrzehnten finden auf Mallorca in Can Picafort im Frühjahr und Herbst von ihm geleitete Wochenseminare u. a. mit Trainingseinheiten am Strand statt.

Im Laufe der Jahre beehrten uns auch andere große Meister und gaben ihr Wissen an uns weiter, wie z. B. Fritz Nöpel, Hiroshi Shirai, Carlo Fugazza oder Albrecht Pflüger, um nur einige zu nennen.

Fünfmal fand das Riedstadt-Shiai (Wettkampf) mit Wolfskehlen und Erfelden statt. 1989/2002 und 2004 in Erfelden und jeweils einmal in Wolfskehlen (2000) und Goddelau (2001).

Von 1994 bis 2008 und 2012 wurden gemeinsame Kinderturniere mit Vereinen aus Nauheim, Langenselbold, Bensheim, Groß-Auheim ausgerichtet. Durch Nachwuchsmangel in allen Vereinen und letztlich auch pandemiebedingt pausieren diese Veranstaltungen derzeit. Eine Wiederaufnahme ist aber in Planung.

Spektakuläre artistische Auftritte gaben die Teilnehmer der 1987 von Bundestrainer Gerhard Meinhardt gegründeten Kraftsportgruppe „Les Karatos“ bei vielen Veranstaltungen, speziell bei den vereinseigenen Faschingsveranstaltungen, zum Besten. Diese Gruppe wurde jedoch nach etwa drei Jahren aufgelöst.

Durch Vorführungen präsentiert sich die Abteilung immer wieder gerne bei diversen Anlässen, wie z. B. auf Sportfesten und Jubiläen und unterstützt insbesondere Veranstaltungen der Stadt Riedstadt. 

In der Karate-Abteilung des TSV Goddelau trainieren jung (ab 8 Jahre) bis alt (70+ Jahre) in verschiedenen Gruppen nach Fähig- und Fertigkeiten bzw. Graduierungen. Trainiert wird montags und mittwochs in der Großsporthalle der Martin-Niemöller-Schule und donnerstags in der Christoph-Bär-Halle. Neu- und Wiedereinsteiger sind jederzeit willkommen. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des TSV Goddelau unter der Rubrik „Karate“.

Aber keine Angst, nicht nur der Sport, auch der Spaß wird in unserer Gemeinschaft groß geschrieben. Wir veranstalten regelmäßig Trainingslager, Tagesausflüge, Grillfeste und Weihnachtsfeiern. Diese verbinden wir immer mit sportlichen und/oder kulturellen Unternehmungen. Die Schulung von Körper und Geist steht bei uns im Fokus.

Die Goddelauer Karatekas waren sogar schon einmal im Fernsehen!
Am 11.10.1994 nahmen drei Mitglieder der Abteilung an einer Aufzeichnung des Ratequizzes "Die Sauhatz" beim Südwestfunk in Mainz mit Karatefragen teil. Im eigens dafür gecharterten Bus begleiteten über 40 Fans und Freunde die cleveren Rater und unterstützten sie nach Leibes- und Stimmeskräften. Zwar musste man sich der gegenerischen Leichtathletik-Gruppe aus Rheinland-Pfalz nach drei Runden geschlagen geben, aber die lustigere Truppe waren eindeutig die Goddelauer dank ihrer mitgereisten Fans. Die Sendung wurde am 27.11.1994 im Südwest 3 ausgestrahlt.

Fazit: 2024 gibt es Karate in Goddelau seit 50 Jahren. Die Abteilung hat sich von der anfänglichen Skepsis zu einer festen Größe im Vereinsleben entwickelt und sich ihren Platz im TSV 1899 Goddelau e. V. mehr als verdient. Ein großer Dank geht an unseren Abteilungsleiter, Sensei und Freund Wolfgang Brzezicki. Er ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Sparte. Seiner Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass wir auch nach so vielen Jahren immer noch mit Freude unsere Karate-Anzüge anziehen können, um zu trainieren. Arigato gozaimasu.
 

Quelle: u.a. aus der "Festschrift 125 Jahre TSV Goddelau 1899 - 2024"